Positionspapier: Senkung der Wertfreigrenze
Einleitende Bemerkungen
Die Auswirkungen des Einkaufstourismus auf den Handel und das Gewerbe, insbesondere in den Grenzregionen, sind immens. Durch den Einkaufstourismus in die Nachbarländer der Schweiz fliessen jährlich gegen 9 Milliarden Schweizer Franken ins Ausland ab. Die Folgen sind Schliessungen, Verlust an Angebotsvielfalt, leerstehende Erdgeschosse und unattraktive Zentren sowie der Verlust an Arbeitsplätzen und Steuersubstrat. Dabei ist die steuerliche Ungleichbehandlung von In- und Auslandkonsum stossend: Konsument:innen, die aus dem Ausland Waren innerhalb der Wertfreigrenze einführen, werden gegenüber jenen, die im Inland einkaufen, steuerlich bevorteilt. Sie können sich die ausländische Mehrwertsteuer zurückerstatten lassen, müssen jedoch keine Schweizer Mehrwertsteuer bezahlen. Diese Regelung diskriminiert nicht nur die Schweizer Detailhandelsunternehmen gegenüber der Konkurrenz im nahen Ausland, sondern auch die Konsument:innen, die in der Schweiz einkaufen und damit MWST bezahlen. Mit einer Senkung der Wertfreigrenze kann diese für die Schweizer Wirtschaft äusserst schädliche Praxis deutlich entschärft und die Benachteiligung des inländischen Konsums beziehungsweise die Bevorteilung des Auslandeinkaufs zu einem guten Teil beseitigt werden.
Dies ist insofern von grosser Bedeutung für den Detailhandel in den Grenzregionen, dass die angrenzenden Länder aktiv um Schweizer Konsument:innen werben: So hat Italien per 1. Februar 2024 die Bagatellgrenze auf 70 Euro herabgesetzt – explizit mit dem Ziel, Schweizer Konsument:innen Einkäufe ennet der Grenze schmackhaft zu machen.
Parlamentarischer Auftrag
Das Parlament hat diese Problematik anerkannt und die Motion 19.3975 «Verbesserung der Steuergerechtigkeit im Warenfluss des kleinen Grenzverkehrs» an den Bundesrat überwiesen. Zudem wurden zwei Standesinitiativen der Kantone Thurgau und St. Gallen (18.316, bzw. 18.300) Folge gegeben. Die beiden Standesinitiativen fordern, dass bei sämtlichen Einfuhren im privaten Warenverkehr die Schweizer Mehrwertsteuer zu entrichten ist, sofern die ausländische Mehrwertsteuer zurückgefordert wird. Der Ständerat hat im September 2023 einer Fristverlängerung für die Umsetzung der Initiativen bis zur Herbstsession zugestimmt, um die Umsetzung der Motion 19.3975 des Bundesrats abzuwarten.
Die vorliegende Verordnungsänderung erfüllt jedoch die Forderung der Standesinitiativen nicht, indem mehrwertsteuerbefreiter Konsum auch mit einer Senkung der MWST-Wertfreigrenze auf 150 Franken immer noch möglich sein wird. Dies ist der Fall, da man beispielsweise in Deutschland ab einem Einkauf von 50 Euro die deutsche MWST zurückerstatten lassen kann (Bagatellgrenze), bei der Einfuhr der Ware in die Schweiz jedoch erst ab 150 Franken MWST bezahlen müsste.
Der Bundesrat hat mit einer Senkung auf 50 Franken die Chance, die Standesinitiativen auch gleich umzusetzen. Anderenfalls muss das Parlament die Umsetzung selber angehen, was einer nochmaligen Verordnungsänderung innert kurzer Zeit gleichkommen würde.
Senkung auf 50 Franken sorgt für fairen Wettbewerb
Der IG Detailhandel geht die vorgeschlagene Senkung der MWST-Wertfreigrenze auf 150 Schweizer Franken nicht weit genug. Wir fordern eine Senkung der Grenze auf 50 Franken, was ungefähr der deutschen Bagatellgrenze entsprechen würde. Diese Forderung möchten wir wie folgt begründen:
Wertfreigrenze von 150 Franken ermöglicht immer noch hohen MWST-befreiten Konsum: Eine Wertfreigrenze von 150 Franken erlaubt es beispielsweise einer vierköpfigen Familie immer noch, für 600 Franken MWST-befreit im Ausland einzukaufen. Dies führt nicht zu einer wesentlichen Verbesserung der Steuergerechtigkeit, wie es das Parlament fordert. Die MWST-Wertfreigrenze von 150 Franken würde Händlern im angrenzenden Ausland weiterhin einen Wettbewerbsvorteil gegenüber inländischen Unternehmen verschaffen und Grosseinkäufe im Ausland steuerlich bevorzugen.
Senkung auf 150 Franken löst das Problem nicht und könnte zu Mehrverkehr und zusätzlichen Treibhausgasemissionen führen: Eine Senkung der Wertfreigrenze auf 150 Franken erlaubt immer noch einen steuerbefreiten Einkauf. Der mögliche steuerbefreite Einkaufsbetrag wäre lediglich tiefer als heute. Dies könnte Schweizer Konsument:innen dazu verleiten, Einkäufe im Ausland einfach öfter als heute zu tätigen, um die Bezahlung der MWST zu umgehen. Die meisten Einkäufe erfolgen dabei mit dem Auto. Gemäss einer Untersuchung der Hochschule St. Gallen[1] fahren 84% der Schweizer Konsument:innen mit dem Auto ins Ausland zum Einkaufen und legen dabei durchschnittlich 59 Kilometer pro Weg zurück. Eine Zunahme der Einkaufsfahrten würde demnach zu einer weiteren Belastung der Schweizer Strassen führen und den Bemühungen in Sachen Klimaschutz zuwiderlaufen.
Schweizer Detailhandel macht seine Hausaufgaben – Wechselkurs nicht beeinflussbar: Der Schweizer Detailhandel arbeitet hart an seiner preislichen Konkurrenzfähigkeit. So stiegen die Preise für Lebensmittel in der Schweiz im Zeitraum von 2015 bis 2023 um lediglich 7.3%. In den umliegenden Ländern stiegen die nominalen Preise um ein Vielfaches (DE: 43.7%, FR: 31.4%, IT: 28.0%, AUT: 33.9%)[2]. Gleichzeitig erfuhr der Schweizer Franken im gleichen Zeitraum aber eine Aufwertung von knapp 30%, was die positive Preisentwicklung quasi wieder aufhob. Die Wechselkurs-Situation ist für den Schweizer Detailhandel nicht beeinflussbar – ein zusätzlicher Wettbewerbsnachteil in Form von steuerbefreitem Einkauf ist in dieser Lage zu vermeiden.
Nachhaltigkeit: Der Schweizer Detailhandel ist führend im Bereich Nachhaltigkeit – beispielsweise in Sachen Tierwohl. Dafür sind die Schweizer Konsument:innen auch bereit, einen Aufpreis zu bezahlen. Gerade Fleisch ist jedoch ein beliebtes Produkt von Einkaufstourist:innen – oft mit tieferem Tierwohlstandard. Es ist aus Nachhaltigkeitsüberlegungen unverständlich, dass der bereits bestehende Preisunterschied noch durch eine steuerliche Ungleichbehandlung von In- und Auslandkonsum künstlich zu Ungunsten des Inlandkonsums vergrössert wird.
Erhöhung Bundeseinnahmen – Umsetzung Quickzoll
Es ist gerade im Hinblick auf die belastende Situation der Bundesfinanzen unverständlich, warum der Bundesrat quasi freiwillig auf zusätzliche Einnahmen verzichten und die Wertfreigrenze nur auf 150 Franken senken will. Durch technische Möglichkeiten – insbesondere der Applikation Quickzoll – ist die Umsetzung zudem effizient durchführbar und der Aufwand für die Zollbehörden verhältnismässig.
[1] Rudolph, Thomas; Schraml, Christopher Marc; Otto, Christine & Kralle, Nora Charlotte : Einkaufstourismus Schweiz 2022/2023. St. Gallen: Forschungszentrum für Handelsmanagement, 2022).
[2] Quelle: Eurostat.